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Verhandlung digital – Erfahrungen mit Gerichtsverhandlungen via Videokonferenz

In Zeiten der Pandemie werden juristische Verfahren immer mehr digitalisiert. Der folgende Artikel gibt die Erfahrungen und Einschätzungen des Autors wieder, der als Rechtsanwalt bundesweit hauptsächlich im Zivilrecht Gerichtsverfahren führt und dabei seit Jahren mit den Gerichten in der Diskussion über die Verhandlungsführung per Videokonferenz steht.

1. Gerichtsverhandlung per Videokonferenz

Die gesetzlichen Voraussetzungen einer digitalen Verhandlungsführung bieten fast alle deutschen Prozessordnungen. Doch die Chancen und Möglichkeiten, die sich aus diesen Regelungen ergeben, sehen leider bisher nur die wenigsten Gerichte.

Nicht nur Juristen, sprich Rechtsanwälte und Richter, sondern auch alle weiteren Prozessbeteiligten wie Rechtssuchende und Reporter werden in den letzten Monaten bemerkt haben, dass die Rechtsprechung und -findung offenbar immer länger dauert. Längst vorbei scheinen die Zeiten, in denen sich einzelne Bundesländer damit brüsten konnten, dass ein durchschnittliches Zivilverfahren für die erste Instanz circa. sechs Monate dauerte. Dies kommt heute nur noch in den seltensten Fällen vor.

Als Grund für die drastisch verlängerten Verfahrensdauern werden aktuell die geltenden Corona-Regelungen und die Einhaltung der demzufolge geltenden Vorsichtsmaßnahmen wie die des Mindestabstands, das Tragen einer Maske sowie die Anzahlbegrenzung im Rahmen eines Zivilprozesses genannt.

Da erscheint eine digitale Gerichtsverhandlung, bei der sich die Beteiligten wie Richter, Zeugen, Parteien und Rechtsanwälte gar nicht erst begegnen, sondern jeder an einem anderen Ort vor Videokamera und Mikrofon sitzt, beinahe wie die Ideallösung.

Hinzu kommen die – in diesem Beitrag jedoch nicht vertieften – weiteren Vorteile. So werden lange Anreisezeiten für Verfahren umgangen, in denen ein Terminbevollmächtigter nicht in Betracht kommt. Zudem fallen Ausreden wie „die Unterlagen habe ich jetzt gerade in der Kanzlei vergessen“ oder auch Terminkoordinierungsschwierigkeiten weitgehend weg.

2. Die rechtlichen Grundlagen im digitalen Gerichtssaal

Wer allerdings glaubt, dass es erst die Corona-Pandemie war, die deutschen Gerichten die Möglichkeit einer digitalen Verhandlungsführung aufzeigte, der irrt sich. Der deutsche Gesetzgeber hat bereits 2013 mit dem Gesetz zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren die rechtlichen Grundlagen bereitgestellt und die entsprechenden ordentlichen Änderungen vollzogen.

Im Rahmen dessen haben sich folgende Ordnungen geändert:

  • Zivilprozessordnung (§ 128a)
  • Finanzgerichtsordnung (§ 91a)
  • Verwaltungsgerichtsordnung (§ 102a)
  • Sozialgerichtsgesetz (§ 110a)
  • Strafprozessordnung (§§ 58b, 118a, 138d …)

In Österreich ist das entsprechende Bundesgesetz über Begleitmaßnahmen für COVID-19 in der Justiz erst am 06.05.2020 in Kraft getreten. Sowohl in Deutschland als auch in Österreich schaffen die beschlossenen Gesetze die rechtlichen Grundlagen für Verfahrensbeteiligte, Zeugen, Sachverständige, Dolmetscher und sonst dem Verfahren beizuziehende Person bezüglich einer Gerichtsverhandlung per Videokonferenz.

Dem Autor drängt sich der Gedanke auf, die deutschen Gerichte hätten mehr als 6 Jahre Zeit oder gar Vorsprung gesammelt, um die notwendige Technik und Erfahrungen für Verhandlungsführungen, die eine maximale Sicherheit für Gesundheit und Abstand garantieren, zu praktizieren.

Das Gegenteil ist und war leider der Fall. Die Seite justiz.de stellt eine beständig aktualisierte Liste all jener Gerichte bereit, welche die entsprechenden Videokonferenzanlagen zur Verfügung haben, um eine entsprechend digitale Verhandlung durchzuführen. Leider musste der Autor feststellen, dass diese Liste keinesfalls als Garantie, sondern allenfalls als Empfehlung eine digitale Verhandlungsführung anzufragen, verstanden werden sollte.

Oft erhielt er auf seine Nachfrage – trotz der vorgenannten Liste – schlichtweg die Auskunft, „Wir haben gar keine solche Technik am Gericht.“ Des Weiteren griff man bei Anfragen auf die Begründung zurück, dass Videokonferenztechnik ausschließlich für über die Landesgrenzen hinausgehende Zeugenvernehmungen im Strafrecht reserviert seien und genutzt würden. Nur in den allerseltensten Fällen erfolgte eine Absage durch den erkennenden Richter, weil dieser das gegenständliche Verfahren für ungeeignet hielt.

Selbstverständlich soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass es gegenüber den vorgenannten Negativbescheidungen natürlich auch leuchtende Beispiele gibt. Das Landgericht Hamburg, das Landgericht Osnabrück, das Landgericht Ingolstadt oder auch das Landgericht Darmstadt verfügen sowohl über die nötige Technik als auch die entsprechend technisch ausgebildeten Richter, um eine Gerichtsverhandlung per Videokonferenz durchzuführen.

3. Gerichtsverhandlung per Videokonferenz – die aktuelle Situation unter Juristen

Neben den wohl in der Mehrzahl noch etwas unwilligen Richtern, welche eine mündliche Verhandlung im Sitzungssaal vorziehen, soll der Ehrlichkeit halber auch erwähnt werden, dass auch eine gehörige Anzahl an Rechtsanwälten der neuen Videoverhandlungen nicht aufgeschlossen gegenüberstehen.

Während Richter mit dem Argument punkten, dass die im Gerichtssaal hergestellte emotionale Verbindung ihre Wirkung per Videochat und Tonübertragung verliert, dürfte die überwiegende Anzahl der Rechtsanwälte etwaige Reisekosten im Blick haben. Nicht weiter vertieft sollen dabei die geschlossenen Honorarvereinbarungen, in denen die Reisezeit mit dem halben oder gar dem kompletten Stundensatz abgerechnet werden. Aber auch die gefahrenen Kilometer mit 0,42 €/km und die Abwesenheitsgebühren im Falle einer Abrechnung nach Rechtsanwaltsvergütungsgesetz scheinen für einige Kollegen erstrebenswert genug, um sich einer Verhandlungsführung, bei der all dies wegfallen würde, zu verschließen.

Natürlich ist die Sinnhaftigkeit einer Gerichtsverhandlung per Videokonferenz auch abhängig von dem zu bearbeitenden Fall. So stellen die Fälle, in denen wenige Partien ein Rechtsgespräch führen, Idealfälle für die Gerichtsverhandlung per Videokonferenz dar. Fälle, wo es hingegen von Anfang an Zweifel an den benannten und geladenen Zeugen gibt und es auf deren persönlichen Eindruck und die ein oder andere noch nicht benannte Fangfrage ankommen kann, erleichtern die Verfahrensführung mittels Linse und Mikrofon eher nicht.

Dennoch verbleibt eine viel zu große Anzahl an Fällen, in denen die digitale Verfahrensführung noch nicht einmal beantragt oder zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten in Erwägung gezogen wird.

4. Die Einfachheit der modernen Videokonferenz

Abschließend soll noch auf die „Einfachheit“ der heutzutage durchzuführenden Videokonferenzen hingewiesen werden. Bedeutete das Vorhaben einer Verhandlung im Videokonferenzwege kurz nach der Einführung des Gesetzes noch immense Kosten für eine kompatible Videokonferenzanlage, Mikrofon und ausreichenden Bildschirm innerhalb des Sitzungsaals, so sind heutzutage der vorhandene eigene PC, ein gängiges Headset und die Desktopversion der verwendeten Videokonferenzsoftware völlig ausreichend und belasten den anwaltseigenen Geldbeutel nur noch minimal. Auch der Umgang mit der Software ist meist selbsterklärend und angenehm einfach. Hierbei sei ein kleiner Expertentipp gestattet; selbst im Termin vorzulegende Dokumente lassen sich über eine Bildschirmaufteilung in den Prozess einführen.

5. Fazit zu Gerichtsverhandlungen per Videokonferenz

Alles in allem stellt es heutzutage für den Autor einen anwaltlichen Grundstandart dar, den Antrag auf Durchführung der Verhandlung im Wege der Videokonferenz gemach § 128a Abs. 1 S. 1 ZPO zu stellen, um so nicht nur Kosten für den Mandanten, sondern auch die Ressourcen und Zeit für alle Beteiligten zu schonen.

Es ist daher wünschenswert, dass vor allem die das Verfahren führenden Richter eine entsprechende Anregung zur Durchführung einer Verhandlung im Videokonferenzwege geben und einen solchen Antrag positiv bescheiden und die Durchführung sicherstellen würden.

Gerne beraten wir Sie in über die Gerichtsverhandlung per Videokonferenz – nehmen Sie noch heute Kontakt zu unseren Rechtsanwälten auf. Nutzen Sie die Vorteile unserer weitgefächerten Rechtsberatung und lassen Sie sich in Ihrem Fall unterstützen – beispielsweise von einem Anwalt für Familienrecht, einem Anwalt für Arbeitsrecht oder einem Anwalt für Erbrecht. Die Sozietät Bietmann bietet fachliche Beratung und Unterstützung in fast allen relevanten Rechtsgebieten.

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