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Lieblingsbuch für die Deutschen

Impulsvortrag zur Corona-Krise von Professor Dr. Rolf Bietmann bei der Jahrestagung der Zeitungsgruppe Thüringen fand zahlreiche interessierte Zuhörer.      

„Spätestens jetzt sollte das Grundgesetz zum Lieblingsbuch der Deutschen werden. Denn es nimmt uns alle in die Pflicht und Verantwortung, unsere Werte und Grundrechte gerade in Zeiten der Pandemie-Krise zu schützen“ – so lautet das Fazit eines Impulsvortrags des Kölner Rechtsanwalts Professor Dr. Rolf Bietmann anlässlich der Jahrestagung der Zeitungsgruppe Thüringen. Bietmann sprach dort zum Thema „Grundgesetz und Verfassungswirklichkeit in Corona-Zeiten“.

Sicherlich seien, so Bietmann, in besonderen Situationen – aktuell zur Abwehr von Infektions- und Seuchengefahren – Einschränkungen von Grundrechten nach genauer Abwägung auf gesicherter gesetzlicher Grundlage möglich. Deswegen sei es ein hohes Glück, dass Deutschland ein Infektionsschutzgesetz als Instrument besitze – inklusive dessen Institutionalisierung durch das Robert-Koch-Institut als Koordinator für die Pandemiebewältigung. Doch räumte der Kölner Rechtsanwalt ebenso ein, dass dieses Gesetz einer Konkretisierung mit Blick auf die in Kraft gesetzten Einschränkungen von Grundrechten bedürfe. Denn: „Wir alle haben aus der Pandemie auch verfassungsrechtlich lernen dürfen.“

Digitaler Vortrag

Ursprünglich als Präsenzveranstaltung in den Veranstaltungsräumen des Erfurter Stadions geplant, fand die Jahrestagung in digitaler Form statt. Ein Hoch auf die heutige Technik – doch „gleichwohl fehlt der persönliche Kontakt und damit die Möglichkeit, auf ein Publikum einzugehen, das vor einem sitzt und damit herausfordert, auf einzelne Gesichtspunkte gesondert einzugehen“, bedauerte Bietmann. Deswegen stand er nach dem Vortrag für Fragen gerne zur Verfügung – natürlich ebenfalls auf digitale Weise.

Eine Welle von Vielfalt politischer Entscheidungen sei auf die Bürger in den zurückliegenden Monaten eingeprasselt. Quarantäneanordnungen, Vorgaben für Kontaktreduzierungen, Versammlungsverbote, Einschränkungen des Demonstrationsrechts, Einschränkungen der Religionsfreiheit, Einschränkungen des Rechts auf Freizügigkeit in der Bundesrepublik Deutschland durch das Verbot der Einreise aus anderen Bundesländern sowie durch Schließung der europäischen Binnengrenzen.

Besonders schwer wiegt nach Bietmanns Ansicht die Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit durch die Schließung von Kultureinrichtungen, Gastronomie, Sporteinrichtungen, Fitnessstudios, Physiopraxen und vielen weiteren mit existentiellen wirtschaftlichen Konsequenzen für die Betroffenen. „Selbst das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnungen, ein maßgebliches Recht unserer Verfassung, wurde eingegrenzt, weil Amtsärzten unter Anwendung von Zwang erlaubt ist, die Wohnung infizierter Personen zu betreten“, so Bietmann. Zu weit gehe der Bundestagsabgeordnete Lauterbach, der ein generelles Recht des Staates zum Einlass in Privaträume bei Partys in Wohnungen und Häuser fordert: „Diese Form der Corona-Spitzelei ist nicht verfassungsfest.“

Stresstest für die Verfassung

Auch wenn die Corona-Pandemie „ein Stresstest für unsere Verfassung, für Rechtsstaat und Demokratie“ sei, so dürfe über die Freiheitsrechte des Einzelnen von staatlicher Seite aus nicht einfach verfügt werden: „Grundrechte sind und bleiben Abwehrrechte des Bürgers gegen staatliches Handeln. Eingriffe in Freiheitsrechte, die weder erforderlich noch verhältnismäßig sind, können gerichtlich bekämpft werden.“ Zwar können sie aus konkreten zwingenden Gründen für eine bedingte, möglichst kurz zu bestimmende Zeit eingeschränkt, nie jedoch aufgehoben werden.

Zudem müssen Einschränkungen von Grundrechten stets angemessen sein, erklärte Bietmann. Doch innerhalb deutscher Gerichte existieren sehr unterschiedliche Abwägungsmaßstäbe. Jüngst wurde beispielsweise die von der Stadt Düsseldorf verordnete Maskenpflicht im gesamten Stadtgebiet als „zu allgemein“ vom Verwaltungsgericht Düsseldorf aufgehoben. Und zum viel diskutierten Beherbergungsverbot existieren zwischenzeitlich fast 100 unterschiedliche Gerichtsentscheidungen.

Frage nach der Verhältnismäßigkeit

Bietmann thematisierte in seinem Vortrag auch den neu eingefügten § 28a im Infektionsschutzgesetz, der jüngst vor allem von der Opposition scharf kritisiert worden war. Der Kölner Rechtsanwalt kommt zu dem Schluss: „Diese von den Ministerpräsidenten verabschiedeten Regelungen sind parlamentarisch nicht hinlänglich diskutiert worden.“ Oder anders ausgedrückt: Die Politik hat Verfassungsrecht und Grundrechte in den zurückliegenden Monaten vielfach unzulässig außer Kraft gesetzt. Unbeachtlich der neuen gesetzlichen Regelung bleibe es indes dabei, dass konkrete Maßnahmen weiterhin erforderlich und verhältnismäßig sein müssen.

Sicherlich dürfen, so Bietmann, zur Bekämpfung von Pandemien und Seuchen auch weiterhin Grundrechte eingeschränkt werden. Fest stehe aber, dass die Freiheitsgrundrechte auch in Zeiten der Corona-Pandemie wirken und eine uneingeschränkte Geltung haben. Dabei erweise sich das Grundgesetz als Maßstab für Zusammenhalt in gesellschaftlich schwierigen Situationen: „Es gibt gerade in der Krise Antworten auf die Frage, wie über 80 Millionen Menschen in Deutschland mit all ihren Unterschieden weiter gut und in Freiheit zusammenleben können.“

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