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Ein Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbaren eine Weiterbeschäftigung über die Regelsaltergrenze hinaus

Weiterbeschäftigung über die Regelaltersgrenze hinaus - Mitbestimmungsrechte bei Vereinbarungen nach § 41 S. 3 SGB VI

Die zunehmende Alterung der Gesellschaft führt zu einem stetigen Rückgang des maximal verfügbaren potenziellen Arbeitskräfteangebots, des sogenannten Erwerbspersonenpotenzials. Für Unternehmen bedeutet dies immer öfter, gemeinsam mit Mitarbeitervertretungen Maßnahmen ergreifen zu müssen, um das verbleibende Erwerbspersonenpotenzial in Zukunft besser ausschöpfen zu können.

Aktuelle Situation in Deutschland & Bedarf einer Regelung

Allein die Steigerung der Erwerbstätigenquote der 20- bis 24-Jährigen in Deutschland von 59 % im Jahr 2005 auf 64 % im Jahr 2014, die damit deutlich über dem EU-Durchschnitt mit 48 % liegt (Wilke, Demografie und Wandel, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, Heft 3 2016, S. 220 ff.), reicht hierzu nicht aus. Angesichts der steigenden Lebenserwartung wird es immer wichtiger werden, dass auch ältere Menschen dem Arbeitsmarkt länger zur Verfügung stehen. Auch wenn Deutschland das von der EU gesetzte sogenannte Lissabon-Ziel einer Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen von 50 % bereits im Jahr 2010 erreicht hat, vielmehr sogar diese Quote im Jahr 2013 für die 60- bis 64-Jährigen galt, sind weitere Schritte dringend erforderlich (Wilke, Demografie und Wandel, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, Heft 3 2016, S. 220 ff.).

Gerade im Mittelstand findet eine langfristige Personalplanung jedoch kaum statt, Programme zur Erhaltung der Beschäftigungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer (Employability) existieren nur wenige.

In diesem Zusammenhang wird eine gesetzliche Regelung zunehmend relevant. § 41 S. 3 SGB VI eröffnet den Arbeitsvertragsparteien die Möglichkeit, das an das Erreichen der Regelaltersgrenze gekoppelte Ende des Arbeitsverhältnisses durch Vereinbarung noch während des Arbeitsverhältnisses hinauszuschieben, gegebenenfalls auch mehrfach.

Problematik bei der Gesetzesfindung

Umstritten war die Frage, ob der Arbeitgeber hierüber allein mit dem Arbeitnehmer über die Befristung entscheiden kann oder ob gegebenenfalls der Betriebsrat hierbei zu beteiligen ist. Der 7. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat mit Beschluss vom 21.09.2021, Az. 7 ABR 22/20, für Klarheit gesorgt.

Ein Arbeitnehmer packt seine Sachen – er denkt über das Arbeiten nach dem Renteneintrittsalter hinaus

Arbeitgeber und Betriebsrat stritten darüber, ob dem Betriebsrat bei der Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers über das Erreichen der tariflichen Altersgrenze hinaus auf Grundlage einer Hinausschiebensvereinbarung nach § 41 S. 3 SGB VI ein Mitbestimmungsrecht nach § 99 Abs. 1 BetrVG zusteht.

  • Der Arbeitgeber vertrat den Standpunkt, dass eine auf einer Hinausschiebensvereinbarung gem. § 41 S. 3 SGB VI beruhende Weiterbeschäftigung nicht der Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 BetrVG bedürfe, da in der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach § 41 S. 3 SGB VI keine Einstellung zu sehen sei. Der Arbeitnehmer sei bereits eingegliedert.
  • Jedenfalls sei das Mitbestimmungsrecht durch die Zustimmung zur ursprünglichen Eingliederung verbraucht, da der Betriebsrat bei der ursprünglichen Einstellung einer unbefristeten Beschäftigung zugestimmt habe.
  • Die Annahme eines Zustimmungsverweigerungsrechts würde zudem Sinn und Zweck anderer Regelungen widersprechen: § 80 Abs. 1 Nr. 6 und Nr. 8 BetrVG, wonach es allgemeine Aufgabe des Betriebsrats sei, die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer im Betrieb zu fördern beziehungsweise die Beschäftigung im Betrieb zu fördern und zu sichern.

Finale Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Das Bundesarbeitsgericht hat jetzt entschieden:

Arbeitgeber mit mehr als zwanzig Arbeitnehmern haben den Betriebsrat bei einer auf einer Hinausschiebensvereinbarung nach § 41 S. 3 SGB VI beruhenden Weiterbeschäftigung zu beteiligen. Dies gilt auch dann, wenn der ursprünglichen Zustimmung des Betriebsrats zur Einstellung eine Anhörung zur „dauerhaften Beschäftigung“, „Beschäftigung auf unbestimmte Zeit“ oder „unbefristete Beschäftigung“ zugrunde lag.

Eine Einstellung iSv. § 99 Abs. 1 BetrVG liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts immer dann vor, wenn Personen in den Betrieb eingegliedert werden, um zusammen mit den dort beschäftigten Arbeitnehmern dessen arbeitstechnischen Zweck durch weisungsgebundene Tätigkeiten zu verwirklichen (BAG v. 26. Mai 2021 - 7 ABR 17/20 - Rn. 28; BAG v. 22. Oktober 2019 - 1 ABR 13/18 - Rn. 15; BAG v. 12. Juni 2019 - 1 ABR 5/18 - Rn. 16 mwN).

Das Mitbestimmungsrecht nach § 99 Abs. 1 BetrVG dient in erster Linie den Interessen der im Betrieb bereits beschäftigten Arbeitnehmer (BAG v. 12.05.2019 – 1 ABR 5/18, Rn. 21). Diese Interessen der Arbeitnehmer sind auch dann berührt, wenn ein Arbeitnehmer über den zunächst vorgesehenen Zeitpunkt hinaus im Betrieb verbleibt. Also nicht lediglich bei einer erstmaligen Eingliederung; denn mit der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über das ursprüngliche Ende hinaus nimmt der Arbeitgeber eine Besetzung eines freiwerdenden Arbeitsplatzes vor. Hierbei besteht kein Unterschied zur Interessenlage bei einer Neueinstellung. Vielmehr können bei der Weiterbeschäftigung Zustimmungsverweigerungsgründe ausgelöst werden, die bei der ursprünglichen Einstellung nicht vorhersehbar waren und die deshalb auch vom Betriebsrat nicht vorgebracht werden konnten.

Neben diesen Erwägungen können Zustimmungsverweigerungsrechte auch durch andere Umstände ausgelöst werden:

  • Die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses nach § 41 S. 3 SGB VI ohne eine nach § 93 BetrVG erforderliche Ausschreibung im Betrieb löst ein Zustimmungsverweigerungsrecht nach § 99 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG aus.
  • Werden Auswahlrichtlinien nicht beachtet, kann der Betriebsrat seine Zustimmung nach § 99 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG verweigern.
  • Besteht die Besorgnis, dass im Betrieb beschäftigte Arbeitnehmer durch die Weiterbeschäftigung Nachteile erleiden, liegt ein Zustimmungsverweigerungsrecht nach § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG vor. Auch wenn eine Verschlechterung der Aufstiegs- und Veränderungschancen der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer kein anerkannter Nachteil im Sinne dieser Norm sind, kann ein Zustimmungsverweigerungsrecht nach § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG aus anderen Gründen vorliegen.

 

Fazit: Arbeiten nach dem Renteneintrittsalter

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Beteiligung des Betriebsrats grundsätzlich bei jeder befristeten Einstellung nur bis zu der vorgesehenen Beendigung des Arbeitsverhältnisses reicht. Jede Verlängerung bedarf der erneuten Beteiligung des Betriebsrats.

Der Beschluss des Bundesarbeitsgerichts sollte nicht nur zum Anlass genommen werden, langfristige Überlegungen in der Personalplanung zur Sicherung des Bedarfs an qualifizierten Mitarbeitern anzustellen. Die Arbeitswelt verändert sich so schnell wie noch nie. Der demografische Wandel ist nur eine Herausforderung. Hybrides Arbeiten und Digitalisierung sind weitere. Es ist nun die Aufgabe von Betriebsräten und Arbeitgebern, diesem Umstand Rechnung zu tragen und die Zukunft aktiv zu gestalten. Nur so kann langfristig die Transformation in die neue Arbeitswelt gelingen und die Zukunft gesichert werden.

 

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