Überbau – was tun, wenn der Nachbar über die Grenze baut?
Rechtsfragen bei einem Überbau - was Betroffene beachten sollten
Trotz anhaltender Coronakrise läuft die Baubranche auf Hochtouren. Auf Deutschlands Baustellen stieg der Umsatz um ein weiteres Jahr an. Zu Zeiten des Baubooms kommt es jedoch immer wieder zu Verletzungen der Grundstücksgrenzen, sodass sich zwangsläufig für Betroffene die Frage stellt, wie mit einem sogenannten Überbau zu verfahren ist.
Hat der Eigentümer eines Grundstücks bei der Errichtung eines Bauwerks über die Grenze gebaut, so hat der Nachbar den Überbau laut § 912 BGB zu dulden, es sei denn:
- Der Eigentümer hat mit Vorsatz gehandelt.
- Dem Eigentümer fällt grobe Fahrlässigkeit zur Last.
- Vor oder sofort nach der Grenzüberschreitung wurde Widerspruch erhoben.
Doch was bedeutet dies im Einzelnen? Gibt es Ausnahmeregelungen? Wir klären die wichtigsten Rechtsfragen.
Was ist ein Überbau?
Von einem Überbau spricht man im Nachbarrecht, wenn zumindest ein Gebäudeteil des Nachbarn, welches sich auf seinem Grundstück befindet, auf Ihrem Grundstück und somit entgegen den Grenzbestimmungen errichtet worden ist. Die Grenzüberschreitung muss von einem Stammgrundstück auf ein Nachbargrundstück erfolgen. Unerheblich sind dabei ihr Umfang und die Frage, ob der Bau auf Ihrem oder dem Nachbargrundstück begonnen wurde.
Eine solche Grenzüberschreitung kann auch in Form einer Überschreitung im Luftraum vorliegen, die beispielsweise bei einer über den Grundstücksteil des Nachbarn hängenden Regenrinne eines Carports gegeben ist.
Bauten, die keine Gebäude darstellen, sind nicht im Begriff des Überbaus eingeschlossen wie zum Beispiel Zäune, Mauern, überdachte Terrassen, Zufahrten zu Garagen oder Wegpflaster.
Habe ich einen Überbau zu dulden?
Ob Sie einen Überbau zu dulden haben, hängt maßgeblich von der Art des Überbaus ab. Betroffene haben die Möglichkeit, den Überbau in seiner bestehenden Form zu gestatten. Dies hat zur Folge, dass sie diesen zu dulden haben. Eine Beseitigung kann sodann nicht verlangt werden. Gleiche Wirkungen treten bei gesetzlichen Regelungen, wie denen des jeweiligen Landesnachbarrechts, auf.
Allgemein gilt: Sollten Sie als Betroffener Ihrem Nachbarn den Überbau nicht gestattet haben oder wird dieser auch sonst nicht durch ein Gesetz begründet, so ist er rechtswidrig. In der Folge liegt eine Eigentumsverletzung vor und Ihnen stehen Beseitigungsansprüche zu.
Eine Duldungspflicht wird jedoch dann bejaht, wenn dem überbauenden Nachbarn weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit zur Last gefallen ist, als dieser den Überbau vorgenommen hat und Sie als betroffener Eigentümer dem Vorgang nicht sofort widersprochen haben. Sollten Sie als betroffener Grundstückseigentümer sofort der Grenzüberschreitung widersprochen haben oder baut der Nachbar mit Wissen und Wollen über die Grenze, so ist der Überbau rechtswidrig. Eine Duldungspflicht besteht sodann nicht.
Wie erhebe ich Widerspruch?
Der Widerspruch muss vor oder zumindest nach objektiv erkennbarer Grenzüberschreitung so frühzeitig erhoben werden, dass eine Beseitigung ohne erhebliche Zerstörung des Überbaus vorgenommen werden kann.
Die Erhebung eines solchen Widerspruchs ist formfrei möglich und bedarf keiner Begründung, jedoch ist die schriftliche Variante unter Berücksichtigung zu Beweiszwecken stets die sichere Wahl.
Welche Rechte habe ich bei einem Überbau?
Kann eine Duldungspflicht ausgeschlossen werden, so stehen dem Betroffenen Ansprüche auf Schadensersatz, Beseitigung des Überbaus oder Herausgabe des überbauten Grundstückteils zu.
Soweit Sie als Betroffener den Überbau zu dulden haben, sind Sie Rentenberechtigter. Ihnen steht sodann eine Überbaurente nach Maßgabe des § 912 BGB zu. Eine Geldrente ist als Entschädigung für Duldungspflicht als Ausgleich für Nutzungsverlust des Überbaus zu entrichten.
So die Rechtsprechung des BGH mit Urteil vom 12.10.2018 – V ZR 81/18, Rn. 8:
„Die Geldrente, durch die der Nachbar zu entschädigen ist, wird ihm dafür gewährt, dass er den Überbau dulden, sich also die Entziehung des Gebrauchs und der Nutzung an dem überbauten Teil seines Grundstücks gefallen lassen muss.“
Wie hoch kann eine Überbaurente sein?
Bezüglich der Höhe der Überbaurente sind der Verkehrswert der überbauten Fläche und die durch den Überbau bewirkte Beeinträchtigung bei Nutzung des nicht überbauten Grundstücks ausschlaggebend für Rentenberechtigte.
Die Höhe des Verkehrswerts hängt entscheidend davon ab, ob und wie der überbaute Grundstücksteil nach den rechtlichen Vorgaben mit Gebäuden bebaut werden kann. Grundlage ist somit neben dem Verkehrswert der bebauten Flächen die durch den Überbau bewirkte Beeinträchtigung bei der Nutzung des nicht überbauten Grundstücks, sodass der Bodenrichtwert des jeweiligen Grundstücks als erstes entscheidendes Kriterium herangezogen werden muss.
Wann muss ich meine Rechte geltend machen?
Ausschlaggebend sind die im BGB festgehaltenen gängigen Regelungen zur Verjährung. Dabei ist zu beachten, dass die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre beträgt.
Der Anspruch auf Zahlung einer Überbaurente beginnt mit dem Ende des Jahres, indem der Überbau errichtet wurde und der betroffene Eigentümer von der Überbauung seines Grundstücks Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen. Dies gilt auch im Hinblick auf die Geltendmachung von Schadensersatz und die Beseitigung des Überbaus.
Bei der Herausgabe des überbauten Teils gilt eine 30-jährige Verjährungsfrist, da dies einen Herausgabeanspruch aus Eigentum darstellt und solche Ansprüche stets einer abweichenden Verjährungsfrist unterliegen.
Unterscheiden sich die Regelungen zum Überbau je nach Bundesland?
Das Nachbarrecht ist generell Ländersache. Die gesetzlichen Rechte und Pflichten in Nachbarschaftsverhältnissen unterscheiden sich daher je nach Bundesland.
Beispielsweise muss die Duldung eines Überbaus im Bundesland Hessen gemäß § 10 a Abs. 1 NachbG HE erfolgen, wenn es sich dabei um Bauteile handelt, die wegen des Anbringens einer Wärmedämmung an der Grenzwand hinüberragen. Änderungen an dem eigenen Gebäude, die durch die Wärmedämmung notwendig werden, müssen nach hessischem Nachbarrechtsgesetz nicht hingenommen werden.
Im Bundesland Nordrhein-Westfalen gilt hingegen gemäß § 23 a des Nachbarrechtsgesetzes, dass das Gebäude des Nachbarn zur Wärmedämmung vom Nachbargrundstück bis über die Grenze hinaus auf Ihr Grundstück ausgebaut werden darf, falls es sich in direkter Nähe oder auf der Grundstücksgrenze befindet.
Durch die landesspezifisch unterschiedlichen Gesetzgebungen zum Thema Überbau sowie die verschiedenen individuellen Sachverhalte in dem Bereich sind jeweilige Rechtsfolgen für Laien nur schwer zu durchschauen. Eine professionelle Rechtsberatung kann hierbei Sicherheit geben. Im privaten Nachbarrecht unterstützt Sie die Sozietät Bietmann mit Fachanwälten für Miet- und Wohnungseigentumsrecht, Bau- und Architektenrecht sowie Immobilienrecht gerne bei der Klärung Ihrer rechtlichen Fragestellungen.