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Betrug in der Pflegebranche

Für die Pflege kranker und alter Menschen fließen in Deutschland jährlich Summen von Milliarden Euro. Immense Summen, welche die Organisierte Kriminalität anlocken. Zurzeit ermittelt das Bundeskriminalamt vor allem gegen russische Pflegedienste auf Grund zahlreichen Betrugsfällen innerhalb pflegespezifischer Einrichtungen.

Der Tatbestand des Betruges §263 StGB in objektiver Hinsicht setzt ein sogenanntes Täuschen über Tatsachen voraus. Im Hinblick auf die Pflege beläuft sie die Täuschung weniger auf die inneren Tatsachen, als auf die äußeren Tatsachen über Vorgänge oder Zustände durch Abrechnungen von nicht erbrachten Leistungen oder die Verrechnung von unqualifizierten Pflegepersonal als vollqualifizierte Fachkraft. Da die Betrugshandlung  entweder ausdrücklich oder konkludent durch schlüssiges Verhalten geschehen kann und beide Formen oftmals ineinander übergehen, ist gleichgültig, ob die Täuschung mittels einer wahrheitswidrigen Erklärung durch die Pflegedienste oder auf eine andere Weise gegenüber den Krankenkassen vollzogen wurde. Die Verantwortlichen unterhalten diesen Irrtum oftmals konsequent über jede pflegedienstliche Maßnahme die sie treffen. Der Rahmen in dem eine solche Täuschung vorgenommen werden kann, ist im Bereich der Pflege besonders weit gespannt. Beliebt sind etwa das Ausgeben von Angehörigen als Mitarbeiter/Innen des Pflegedienstes, Pflege durch Schwarzarbeit oder auch die Inszenierung von Pflegebedürftigkeit. Besonders häufig wird Verantwortlichen von ambulanten Pflegediensten vorgeworfen, tatsächlich gar nicht oder nur teilweise erbrachte Leistungen abgerechnet zu haben (sogn. Abrechnungsbetrug). Dabei werden bestimmte Pflegeleistungen dokumentiert und abgerechnet, jedoch gar nicht oder nur teilweise erbracht (sogn. Luftleistungen). Dazu zählen auch – wenngleich umstritten – die ordnungsgemäße  Leistungserbringung von einer vertragsgemäß qualifizierten Pflegekraft. Für diese gelten nämlich trotzdem formalen Anforderungen an die fachliche Qualifikation, die zur Erbringung von behandlungspflegerischen Leistungen nach dem SGB V berechtigen (Bsp.: § 132 a Abs. 2 SGB V). Die Pflegekraft muss dementsprechend ausgewählte fachliche und formale Qualifikationen mitbringen. Um die Flexibilität von Pflegeleistungen zu erhöhen gibt es durchaus Umstände in denen die Zulässigkeit einer solchen Kraft vertragsgemäß geöffnet wird. Da die Mehrheit an Verträgen eine derartige Leistung nicht vorsieht und es an hinreichenden Abgrenzungskriterien von Leistung durch examiniertes Fachpersonal oder Pflegehelfern fehlt, verliert dieser Umstand jedoch leider an Bedeutung. Solche Unklarheiten bezüglich der Leistungserbringung allgemein und durch vertraglich vereinbartes Personal bilden bei den Staatsanwaltschaften häufig Anlass für strafrechtliche Ermittlungen. Durch die Medienberichterstattung über die einschlägigen Betrugsfälle von russischen Pflegediensten rücken diese insgesamt immer mehr in den Fokus der strafrechtlichen Ermittlungen. Betroffene – oder auch nur gefährdete und unter Generalverdacht gestellte – Pflegedienste ist zu raten, möglichst frühzeitig in einem Ermittlungsverfahren oder im Rahmen präventiver Absicherung  die Hilfe eines auf Strafrecht und Pflegerecht spezialisierten Verteidigers in Anspruch zu nehmen. Denn die Praxis der Verteidigung zeigt, dass ein strafrechtlicher Betrugsvorwurf in diesem Bereich in einer Vielzahl von Fällen sehr fraglich ist. Außerdem ist in vielen Fällen umstritten, ob überhaupt ein für den Betrug vorausgesetzter Vermögensschaden bei den Kassen eingetreten ist. In den Fällen, in denen das Ermittlungsverfahren hauptsächlich deswegen eingeleitet wurde, weil der Pflegedienst lediglich gegen Dokumentationspflichten verstoßen hat, kann die Eröffnung eines Strafverfahrens durchaus abgewendet werden, da diese Pflichten durchaus weit gefasst sind. Zwar handelt es sich hierbei um einen Vertragsverstoß, welcher zu vertraglichen Konsequenzen führen kann; dies ist aber dennoch kein ausreichender Grund, dem Pflegedienst unter einen generellen Betrugsverdacht zu stellen. Dennoch übertragen Staatsanwaltschaften die strenge formale Betrachtungsweise des Sozialversicherungsrechts aus dem Bereich des ärztlichen Abrechnungsbetrugs auf Abrechnungsauffälligkeiten im Bereich der Pflege. Aus der rein rechtlichen Betrachtungsweise liegt ein Betrug hier meist nicht vor, zumal die betreffende Krankenkasse durch die tatsächlich erbrachten Leistungen der Pflegedientsmitarbeiter von ihren vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den Leistungsempfängern freigeworden ist.

Auch die Krankenkassen haben nun mehr als je ein Auge auf jede- wenn auch unwesentliche und nicht betrugstatbestand erfüllende- Abweichung geworfen. Denn die für den Betrug tatbestandsmäßig vorausgesetzte Vermögensverfügung schlägt sich vor allen Dingen bei den Krankenkassen nieder. Aktuellen Schätzungen zufolge liegt der so entstandene Schaden bei jährlich mindestens einer Milliarde Euro. Für die Strafbarkeit ist es keineswegs Voraussetzung, dass dem Verantwortlichen die Strafbarkeit seines Handelns bekannt ist. Ausreichend ist vielmehr, dass er die Handlungen, die Voraussetzung für einen Betrug sind, bewusst vornimmt, um sich zu bereichern. So zeigt sich auch das Risiko, eine strafrechtlich relevante Handlung zu begehen ohne davon in Kenntnis zu sein.

So wird ganz deutlich wie anfällig das deutsche Pflegesystem für systematischen Betrug und organisiere Kriminalität ist. Die Pflege bedarf insgesamt keiner stärkeren  Kriminalisierung. In Anbetracht der medialen Aufmerksamkeit und dem enormen Druck unter denen die Staatsanwaltschaften nun stehen ist allerdings ein jedem Pflegedienst zu raten, sich vorsorglich zumindest beraten zu lassen. Damit kann eine Aufklärung von organisieren Betrugsfällen gewährleistet werden, und Kollateralschäden bei denen, die alten und kranken Menschen bestmöglich helfen, vermieden werden.

 

Der Autor ist Rechtsanwalt und Strafverteidiger, sowie Lehrbeauftragter auf dem Gebiet „Recht für Pflegeberufe“

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