Corona und Arbeitsrecht - Arbeitsrechtliche Rechtsprechung in der Pandemie
Auswirkungen der Pandemiesituation für das Arbeitsrecht
Wie jede gesellschaftliche Herausforderung prägt das Coronavirus die Gesellschaft und hinterlässt Spuren auch in der Rechtsprechung. Mit einer Vielzahl von Gesetzesänderungen und dem Erlass von Verordnungen versucht die Regierung dem rechtlichen Bedarf der Pandemie gerecht zu werden. Über die Auswirkungen der jüngsten SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung klärt Dr. Axel Woeller in seinem Interview bei Welt.de auf.
Doch auch vor Erlass der jüngsten Verordnung haben sich die Arbeitsgerichte mit der Pandemie auseinandersetzen müssen:
Kündigungen wegen Corona – Arbeitsrecht und Regelungen
Vermuteten Arbeitsrechtler primär betriebsbedingte Kündigungswellen, erfuhren Mitte des Jahres insbesondere Einzelentscheidungen der Arbeitsgerichtsbarkeit zu verhaltensbedingten Kündigungen erhöhte Aufmerksamkeit.
Sowohl das Arbeitsgericht Köln mit Urteil 17.06.2021 (12 Ca 450/21) als auch das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 07.10.2021 (Az.: 10 Sa 867/21) bestätigten jeweils die Rechtmäßigkeit einer außerordentlichen Kündigung wegen Verstoßes gegen die Maskenpflicht. Die zunächst harsch anmutenden Bestätigungen von fristlosen außerordentlichen Kündigungen wegen eines abänderbaren Verhaltens werden erklärbar, wenn man sich mit den Urteilsgründen auseinandersetzt. In beiden Fällen waren fruchtlose Abmahnungen vorangegangen. Im Kölner Fall wurde eine „Rotzlappenbefreiung“ als Entschuldigungsgrund für das Nichttragen der Maske vorgelegt, in Berlin ein im Internet erworbenes und selbst ausgedrucktes Attest.
Mit den Anforderungen an Atteste zur Befreiung von der Maskenpflicht haben sich die Arbeitsgerichte mehrfach auseinandersetzen müssen. Entsprechend setzt sich die Ansicht durch, dass sich aus dem Attest selbst heraus der Grund für die Befreiung von der Maskenpflicht ergeben muss, da eine Überprüfung durch die Gerichte nur so ermöglicht werde (z. B.: Arbeitsgericht Siegburg, Urteil v. 16. Dezember 2020 – 4 Ga 18/20).
Entsprechend erklärte das Arbeitsgericht Cottbus mit Urteil vom 17.06.2021, 11 Ca 10390/20, dass die ordentliche Kündigung einer Logopädin sozial gerechtfertigt sei, da es sich um eine körpernahe Dienstleistung handele, welche das Tragen einer Maske erfordere. Mit dem von der Arbeitnehmerin vorlegten Attest beschäftigte sich das Arbeitsgericht mangels darin aufgeführter Befreiungsgründe gar nicht erst.
Ähnlich urteilte das Arbeitsgericht Siegburg mit Urteil vom 18.08.2021, Az: 4 Ca 2301/20 aus einem anderen Blickwinkel. Der Arbeitgeber hatte den Arbeitnehmer aufgrund einer wirksamen ärztlichen Befreiung von der Maskenpflicht nicht weiter beschäftigt. Den vom Kläger geforderten Verzugslohn lehnte das Arbeitsgericht aber ab. Aufgrund der Befreiung von der Maskenpflicht, sei der Kläger – zumindest partiell – unfähig seine Arbeitsleistung zu erbringen. Da das Gesetz eine partielle Arbeitsunfähigkeit aber nicht kenne, könne der Arbeitnehmer seine Leistung auch nicht teilweise anbieten. Besonders interessant: das Arbeitsgericht verneinte eine Pflicht des städtischen Arbeitgebers zur Einrichtung eines Arbeitsplatzes im Home-Office.
Die pandemiegeprägten Urteile zeigen, dass sich sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer, gerade im Spannungsverhältnis der aktuellen Situation, mehr denn je in anwaltliche Beratung begeben sollten.
Home-Office / Mobiles Arbeiten
Durch die Pandemie ins Zentrum der Berichterstattung, aber auch in den Arbeitsalltag vieler Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Betriebsräte gerückt ist das Home-Office beziehungsweise mobile Arbeiten.
Hierbei versteht man unter Home-Office die Leistung der Arbeit an einem festen Arbeitsplatz außerhalb des Betriebes, während das mobile Arbeiten dadurch geprägt ist, dass die Arbeitsleistung von unterwegs, mithin von wechselnden Orten, erbracht wird. Die Kategorisierung hat Auswirkungen zum Beispiel auf die geltenden Arbeitsschutz- aber auch Datenschutzvorschriften.
Mit Urteil vom 10. August 2020, Az. 19 Ca 13189/19 erregte das Arbeitsgericht Berlin viel Aufsehen in der arbeitsrechtlichen Welt, indem es entschied, dass ein Arbeitgeber vor dem Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung als milderes Mittel Home-Office anzubieten habe. Dieses Urteil wurde vom zuständigen Berufungsgericht (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24. März 2021, Az. 4 Sa 1243/20) aufgehoben.
Das Argument des Landesarbeitsgerichtes: Wenn der Arbeitgeber als Teil der zu treffenden unternehmerischen Entscheidung festlegt, dass nicht nur der Arbeitsplatz betriebsbedingt entfällt, sondern sich auch dagegen entscheidet, Home-Office einzuführen, kann diese Entscheidung nicht durch die Arbeitsgerichte ersetzt werden.
Ähnlich argumentiert das Arbeitsgericht Köln mit Urteil vom 20.05.2021, 8 Ca 7667/20. Es ist nicht Aufgabe der Arbeitsgerichte Home-Office durch die „Hintertür“ einzuführen, da eine rechtliche Verpflichtung zum Einsatz im Home-Office nicht bestehe.
Zu beachten ist, dass der nunmehr seit dem 24.11.2021 und zunächst bis zum 19.03.2022 geltende § 28 b Abs. 4 IfSG beziehungsweise die Vorgängervorschrift, zum Zeitpunkt der jeweiligen Urteile nicht oder nicht mehr bestand. Gem. § 28 b Abs. 4 IfSG haben Arbeitnehmer (derzeit) einen Anspruch auf Home-Office, sodass auch diese Entscheidungen eventuelle in einem neuen Licht betrachtet werden müssen. Erfahren Sie mehr darüber unter Arbeitnehmer und Homeoffice-Pflicht.
Aus kollektivrechtlicher Sicht ist zu beachten, dass der Betriebsrat gemäß § 87 Absatz 1 Nr. 14 Betriebsverfassungsgesetz ein Mitbestimmungsrecht bei der Ausgestaltung der mobilen Arbeit hat. Dies bedeute, dass der Betriebsrat nicht von sich aus eine Regelung zum mobilen Arbeiten initiieren kann (Initiativrecht), er kann jedoch nach Einführung über die Ausgestaltung mitbestimmen.
Gerade mit Blick auf die derzeitige Pandemiesituation müssen die Betriebsparteien hier besonderes Augenmerk auf einen Beschluss des Landesarbeitsgerichtes Köln 23.04. 2021, 9 TaBV 9/21 richten. Hier hatte das LAG die Anrufung der Einigungsstelle durch den Betriebsrat zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung über mobiles Arbeiten für rechtmäßig befunden, da der Arbeitgeber – coronabedingt – mobiles Arbeiten eingeführt hatte. Da mobiles Arbeiten eingeführt wurde, war der Betriebsrat an der Form der Ausgestaltung zwingend zu beteiligen.
Auch hier sind sowohl Betriebsrat als auch Arbeitgeber auf die fachliche Einschätzung von Arbeitsrechtsexperten angewiesen.
Betriebsrisiko im Lockdown
Bislang größte Überraschung der pandemiebedingten Rechtsprechung ist das Urteil des BAG vom 13.10.2021 - 5 AZR 211/21. Entgegen der allgemeinen Erwartung hat das BAG die in der Rechtsprechung entwickelte und mit der Schuldrechtsmodernisierungsreform kodifizierte Betriebsrisikolehre hier nicht angewendet.
Kannte das BAG von dem Grundsatz, dass der Arbeitgeber das Betriebsrisiko zu tragen habe nur wenige Ausnahmen, wie die Existenzgefährdung des Arbeitgebers, formulierte es nun, dass der Arbeitgeber dieses Risiko nicht zu tragen habe, wenn der Ausfall auf einem staatlich angeordneten Lockdown basiere. Hier trage nicht der Arbeitgeber die Pflicht Ausgleich zu schaffen, sondern vielmehr der Staat, welcher den Ausfall zum Schutz der Bevölkerung angeordnet habe.
Faktischer Auswirkung dürfte das Urteil nur auf solche Arbeitnehmer haben, welche – wie geringfügig Beschäftigte – nicht durch bereits bestehende staatliche Sicherungssystem wie Kurzarbeit beziehungsweise das Kurzarbeitergeld aufgefangen werden.
Ob bei der Vertretung in Kündigungsschutzklagen, der Verhandlung von Betriebsvereinbarungen oder der rechtlichen Beratung zu gesetzlichen Neuerungen im Arbeitsrecht – Bei der Sozietät Bietmann können sowohl Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Führungskräfte als auch Betriebsräte auf die Kompetenz und Erfahrung von 14 Berufsträgern mit dem Titel Fachanwalt für Arbeitsrecht sowie ein interdisziplinäres Team zurückgreifen.