12. Erfurter Tage des Arbeitsrechts - Tagungsbericht
Wir freuen uns, Ihnen den Tagungsbericht der 12. Erfurter Tage des Arbeitsrechts vorstellen zu dürfen. Die Erfurter Tage des Arbeitsrechts am Sitz des Bundesarbeitsgerichts gehören mittlerweile zu den anerkannten Fachtagungen im deutschen Arbeitsrecht.
12. Erfurter Tage des Arbeitsrechts
Veranstaltungsbericht vom 07. und 08. September 2012
Die „12. Erfurter Tage des Arbeitsrechts“ begeisterten wieder ein breites arbeitsrechtliches Fachpublikum am Sitz des Bundesarbeitsgerichts. Begrüßen durfte der Vorsitzende der Erfurter Gesellschaft zur Pflege des Arbeits- und Wirtschaftsrechts e.V., Rechtsanwalt Prof. Dr. Rolf Bietmann, den Vorsitzenden Richter des 2. Senats des BAG, Burghard Kreft, Prof. Dr. Gregor Thüsing von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, den Präsidenten des Landesarbeitsgerichts Köln, Dr. Jürgen vom Stein, die Vorsitzende Richterin des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen, Roswitha Stöcke-Muhlack und den Vorsitzenden Richter des 6. Senats des BAG, Dr. Ernst Fischermeier. Die aktuellen Vorträge aus Wissenschaft sowie gerichtlicher Praxis führten zu angeregten Diskussionen.
Mit einem umfassenden Rückblick auf die arbeitsrechtliche Gesetzgebung der Bundesregierung in 2012 und zukünftige Gesetzesvorhaben eröffnete Prof. Dr. Rolf Bietmann die Veranstaltung und lud die Teilnehmer zur aktiven Diskussion mit den Referenten ein.
Im Anschluss referierte der Vorsitzende des 2. Senats des BAG, Burghard Kreft, zum Thema „Aktuelle Rechtsprechung zum Kündigungsschutz“. Zunächst kritisierte Kreft den Gesetzgeber wegen der nicht vorgenommenen Gestaltung eines einheitlichen Arbeitsvertragsgesetzes nach den Vorschlägen der Universität zu Köln, die er für überzeugend halte. Er merkte an, die Vielzahl der Lebenssituationen im Arbeitsrecht passe ansonsten nicht in abstrakte Regelungen, sondern könne sinnvoller durch die Gerichte bewertet werden. Der lebhafte Vortrag thematisierte aktuelle Fragen und Entscheidungen rund um betriebsbedingte und verhaltensbedingte Kündigungen, Änderungskündigungen sowie den Sonderkündigungsschutz. So sprach Kreft an, dass nach Sinn und Zweck der 6-monatigen Wartezeit i.S.d. § 1 Abs. 1 KSchG - dem gegenseitigen Kennenlernen - diese auch durch Zeiten einer Beschäftigung in demselben Betrieb oder Unternehmen erfüllt werde, während derer auf das Arbeitsverhältnis nicht deutsches, sondern ausländisches Recht zur Anwendung gelange[1]. Im Anwendungsbereich des KSchG bedürfe es zur Rechtfertigung einer Kündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse stets einer schlüssigen und ggf. beweisbaren Darlegung seitens des Arbeitgebers, dass sich der „Status quo“ geändert habe und der Beschäftigungsbedarf dauerhaft nicht mehr bestehe. Die Einführung von Kurzarbeit spreche regelmäßig gegen einen dauerhaft gesunkenen Beschäftigungsbedarf, sofern nicht weitere Umstände hinzutreten würden[2].
Kreft thematisierte die aktuelle Rechtsprechung seines Senats zur Sozialauswahl und Altersdiskriminierung[3], zur Änderungskündigung bei Herabgruppierung einer Schulleiterin[4] und zu Fällen der überflüssigen Änderungskündigung[5], erörterte Beweisverwertungsfragen bei verdeckter Videoüberwachung[6], die verhaltensbedingte Kündigung wegen „Stalking“[7], den Sonderkündigungsschutz bei der Frage nach einer Schwerbehinderung[8] sowie bei Ersatzmitgliedern des Betriebsrats[9]. Kreft bot einen vertieften Einblick in die Gedankenwelt des Kündigungsschutzsenates.
Prof. Dr. Gregor Thüsing beschäftigte sich anschließend mit dem Thema „Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht. […]“. Unter Bezugnahme auf seinen Vorredner verdeutlichte er, dass das BAG bei der Bewertung von Beweisverboten „zurückgerudert“ sei. Die heimliche Videoüberwachung sei nämlich heute zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung gegen einen „zumindest räumlich und funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern bestehe“[10]. Bislang habe das BAG stets Hinweise auf einen bestimmten Arbeitnehmer gefordert. Auch habe das BAG nach dem Fall „Emily“ nochmals bekräftigt, dass es die erforderliche Interessenabwägung ohne Zurückverweisung an die Tatsacheninstanz selbst vornehmen könne, wenn die Abwägungen des Berufungsgerichts fehlerhaft seien und alle relevanten Tatsachen feststehen würden[11].
Mit gewohnt lebhaftem und eloquentem Vortragsstil führte Thüsing zu Regeln und Rechtsprechung bei der Vertragsgestaltung aus und schilderte anhand aktueller Fälle die Problematik von Musterklauseln. So machte er deutlich, dass eine Individualabrede bei der Abgrenzung zu AGB nur angenommen werden könne, wenn der Arbeitgeber den gesetzesfremden Kern der Klausel ernsthaft zur Disposition gestellt habe und riet den anwesenden Arbeitgebern, ihren Arbeitnehmern, z.B. bei Vertragsstrafenregelungen, zukünftig einen Vorschlag zu unterbreiten und diesen dann auszuhandeln. Auch die weiterhin aktuelle Thematik der Bezugnahmeklauseln wurde durchleuchtet und klargestellt, dass eine arbeitsvertragliche Verweisung auf einzelne Teile von Tarifverträgen wegen oftmals fehlender Transparenz und Kontrolle der in Bezug genommenen Klausel schwierig sei.
Weiter behandelte Thüsing die gerade für Praktiker relevanten Themenfelder des Arbeitsvertrages wie Freiwilligkeitsvorbehalte und betriebliche Übung, Vertragsstrafe, Pauschalierung von Überstunden, Rückzahlung von Ausbildungsvergütung, variable Vergütung, Gratifikation, Ausschlussklauseln und wies auf Grenzen des Direktionsrechts hin. Abschließend warnte er vor der schlichten Übernahme von Klauseln aus Vertragshandbüchern und belegte anhand einer Vielzahl konkreter Beispiele süffisant die Unwirksamkeit der vorgeschlagenen Entwürfe.
Den zweiten Veranstaltungstag eröffnete der Vorsitzende des 6. Senats, Dr. Ernst Fischermeier, mit dem Vortrag „Der Aufhebungsvertrag“. Nach einer kurzen Einführung zu den Grundlagen des Vertragsrechts und einer Abgrenzung zum Abwicklungsvertrag, erläuterte er eingehend die Möglichkeiten der Beseitigung eines abgeschlossenen Aufhebungsvertrages. Neben Rücktritt, Widerruf und Wegfall der Geschäftsgrundlage beschäftige sich der 6. Senat mit Fragen der Anfechtung von Aufhebungsverträgen, wobei die Anfechtungsgründe arglistige Täuschung und widerrechtliche Drohung gemäß § 123 BGB überwiegen. Ausführlich ging Fischermeier auf Definitionen ein und führte Beispiele an, die den Teilnehmern die Situationen veranschaulichen konnten. Er behandelte einzelne Inhalte von Aufhebungsverträgen und wies die Teilnehmer auf problematische Formulierungen hin. Anerkannt sei mittlerweile, dass anderweitige Einkünfte während der Freistellung nur dann auf vom Arbeitgeber fortzuzahlende Vergütung anzurechnen seien, wenn dies vereinbart sei[12] und bei widerruflicher Freistellung Urlaub nur angerechnet werde, wenn die Lage des Urlaubs konkret bestimmt worden sei[13]. Anschließend verwies er auf die für Arbeitnehmer und somit für die rechtsberatenden Berufe wesentliche Frage der Umgehung der drohenden Sperrzeit bis zu 12 Wochen gemäß § 159 SGB III und der Verkürzung des Bezugszeitraums um mindestens ¼ gemäß § 148 SGB III seitens der Bundesagenturen für Arbeit, was wesentlich von der Frage des Vorliegens eines wichtigen Grundes für die Vertragsbeendigung abhänge. Beispielsweise verzichte das BSG dann auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit der alternativen betriebsbedingten Kündigung, wenn sich eine vereinbarte Abfindung im Rahmen des § 1a KSchG halte[14].
Es folgte der Vortrag des Präsidenten des LAG Köln, Dr. Jürgen vom Stein, zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) und zur krankheitsbedingten Kündigung. Stein stellte zunächst klar, dass das Thema „Arbeit und Gesundheit“ u.a. wegen der Bevölkerungsentwicklung Konjunktur habe und bereits Studien vorlägen, die die Rente mit 69 vorsähen. Aus diesem Grund werde die Thematik automatisch relevant in Personalabteilungen und für externe Berater. Gesetzlich basiere das sog. BEM auf 7 Sätzen des § 84 Abs. 2 SGB IX, wonach der Prozess bei Erkrankungen von länger als sechs Wochen im Jahr ansetze. Stein erörterte sehr anschaulich Begriffe und Inhalte der gesetzlichen Regelung sowie deren Zielsetzung und den Anwendungsbereich der Regelung. Insbesondere läge die Initiativpflicht beim Arbeitgeber, der zur Einleitung des Verfahrens und zur Information des Arbeitnehmers verpflichtet sei. So habe das BAG bereits entschieden, eine fehlerhafte Belehrung könne zu Nachteilen des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess führen[15]. Insoweit sei ein schriftliches Anschreiben dringend zu empfehlen. Nach der detaillierten Beschreibung des Ablaufs eines BEM, leitete Stein über auf die „Ultima-Ratio“, die krankheitsbedingte Kündigung. Nach der Drei-Stufen-Prüfung des BAG schilderte er die Prüfungsschritte der negativen Gesundheitsprognose, der erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen oder wirtschaftlichen Belange des Arbeitgebers und die umfassende Interessenabwägung und diskutierte mit den Teilnehmern häufige Fragestellungen dieser praxisrelevanten Thematik.
Zum Abschluss der 12. Erfurter Tage des Arbeitsrechts referierte die Vorsitzende Richterin des LAG Niedersachsen, Roswitha Stöcke-Muhlack, zum Thema „Arbeitsrecht in der Kirche – seine Besonderheiten – der Dritte Weg – die Gerichtsbarkeit“. Stöcke-Muhlack informierte über im kirchlichen Dienst praktizierten Grundsätze und Besonderheiten des Arbeitsrechts in der Kirche. Auf Basis des nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV bestehenden Selbstbestimmungsrechts der Kirchen werden die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter in kirchlichen Einrichtungen zu dem Gedanken der Kirchlichen Dienstgemeinschaft ausgerichtet. Die Gestaltung des Dienstrechtes ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sei eine eigene Angelegenheit der Kirche und damit verfassungsrechtlich geschützt.
Die hervorragende Qualität der Vorträge eröffnete lebhafte Diskussionen der wieder zahlreich erschienenen Teilnehmer. So können die Veranstalter auf spannende Erfurter Tage des Arbeitsrechts in 2012 zurückblicken, die zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen Anwaltschaft, Wissenschaft und Rechtsprechung beigetragen haben. Teilnehmer und Veranstalter freuen sich auf die 13. Erfurter Tage des Arbeitsrechts am 06. und 07. September 2013. Nähere Informationen erhalten Sie über den Link: www.erfurter-arbeitsrechtstage.de
[1] S. BAG, 07.07.2011 – 2 AZR 12/10.
[2] S. BAG, 23.02.2012 – 2 AZR 548/10.
[3] S. BAG, 15.12.2011 – 2 AZR 42/10 und BAG, 22.03.2012 – 2 AZR 167/11.
[4] S. BAG, 29.09.2011 – 2 AZR 451/10.
[5] S. BAG, 29.09.2011 – 2 AZR 523/10, BAG, 26.01.2012 – 2 AZR 102/11 und BAG, 19.07.2012, 2 AZR 25/11.
[6] S. BAG, 21.06.2012 – 2 AZR 153/11.
[7] S. BAG, 19.04.2012 – 2 AZR 258/11.
[8] S. BAG, 16.02.2012 – 6 AZR 553/10.
[9] S. BAG, 08.09.2011 – 2 AZR 388/10.
[10] S. BAG, 21.06.2012 – 2 AZR 153/11.
[11] S. BAG, 09.06.2011 – 2 AZR 284/10.
[12] S. BAG, 19.03.2002 – 9 AZR 16/01.
[13] S. BAG, 14.03.2006 – 9 AZR 11/05.
[14] S. BSG, 02.05.2012 – B 11 AL 6/11 R.
[15] S. BAG, 24.03.2011 – 2 AZR 170/10.
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