15. Erfurter Tage des Arbeitsrechts
Veranstaltungsbericht vom 04. und 05. September 2015
Die "15. Erfurter Tage des Arbeitsrechts“ waren erneut mit hochkarätigen Referenten besetzt. Frau Karin Spelge, Richterin des 6. Senats des BAG, Prof. Dr. Gregor Thüsing, Universität Bonn, Prof. Dr. Rolf Bietmann, Direktor des Erfurter Instituts für Personalmanagement und Personalrecht sowie Fachanwalt für Arbeitsrecht, Prof. Dr. Martin Henssler, Universität Köln, und Dr. Hinrich Vogelsang, Vizepräsident des Landesarbeitsgerichts Niedersachen, sorgten mit ihrem jeweils exzellenten Vortragsstil zu aktuellen arbeitsrechtlichen Themen für eine lebhafte Fachtagung der Erfurter Gesellschaft zur Pflege des Arbeits- und Wirtschaftsrechts am Sitz des BAG.
Der Vorsitzende der Gesellschaft, Prof. Dr. Bietmann, eröffnete die Veranstaltung mit einem Blick auf arbeitsrechtlich relevante Themen des Gesetzgebungsverfahrens im Deutschen Bundestag. Er merkte an, dass der in der auslaufenden Legislaturperiode feststellbare gesetzgeberische Stillstand, der zu beachtlicher Rechtsunsicherheit auch in der Rechtsprechung des BAG geführt habe, beendet sei. Mit dem Mindestlohngesetz sei ein deutliches Zeichen an Arbeitgeber gerichtet worden sozialverträgliche Lohnstandards zu vereinbaren. Die nun anstehende Diskussion über sog. "Werkvertragsarbeitnehmer" und deren Abgrenzung zu Leiharbeitnehmern mit Equal-Pay-Anspruch wurde ausführlich thematisiert.
Im Anschluss referierte Frau Karin Spelge zum Thema "Aufhebungsvereinbarungen und ihre sozialversicherungsrechtlichen Folgen“. Als besonders bemerkenswert hob sie hervor, dass der Ausschluss älterer Arbeitnehmer von Abfindungsprogrammen nicht zwingend zu einer Altersdiskriminierung führe. Fälle dieser Art seien nach der Auffassung des BAG nicht vom AGG erfasst. Das AGG schütze nur den Verbleib in Arbeitsverhältnissen. Außerdem läge auch eine sachliche Rechtfertigung i. S. d. § 10 S. 1 und 2 AGG vor, soweit für ältere Arbeitnehmer Ersatzprogramme wie etwa Altersteilzeit zur Verfügung ständen. Des Weiteren hob Frau Spelge hervor, dass der Arbeitgeber auf eine mögliche Sperrzeit nur hinweisen müsse, wenn er durch das Angebot eines Aufhebungsvertrags besondere Gefahrenquellen schaffe. Das gelte sogar dann, wenn die Initiative vom Arbeitgeber selbst ausgehe. Ein Hinweis des Arbeitgebers, dass eine Sperrzeit eintreten könne, reiche allerdings in jedem Falle aus. Hinsichtlich der Sperrzeiten hob Frau Spelge insbesondere hervor, dass die neuere Rechtsprechung des BSG zu einer Entschärfung des Sperrfristriskos erheblich beigetragen habe. Voraussetzung sei jedoch, dass sich eine Abfindungszahlung im Rahmen des § 1 a Abs. 2 KSchG bewege.
Prof. Dr. Thüsing sorgte mit seinem lebhaften Vortrag für angeregten Meinungsaustausch zum Thema arbeitsrechtlicher Vertragsgestaltung. Nach Darstellung der Grundlagen des ABG-Rechts und der Erläuterung einer Vertragsgestaltung mittels des sog. „Blue-pencil-test“, nahm Thüsing einzelne Vertragsklauseln ins Visier. Betrachtet und bewertet wurde die aktuelle Rechtsprechung des BAG zu Freiwilligkeitsvorbehalten, Vertragsstrafen, Pauschalierung von Überstunden, Rückzahlung von Ausbildungsvergütungen, Gratifikationen, Ausgleichsklauseln, Dienstwagenregelungen und Regelungen zum Rückkehrrecht. Auch ging Thüsing auf Grenzen und Reichweite des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts ein. Er warnte schließlich vor der ungeprüften Übernahme von Musterklauseln aus Vertragshandbüchern und verdeutlichte dies anhand zahlreicher Beispiele. Die sorgfältige Überprüfung derartiger Vertragsmuster sei unerlässlich ist, um Haftungsfallen aus dem Weg zu gehen.
Der erste Veranstaltungstag schloss mit einer Diskussionsveranstaltung zum Thema "Der Gesetzgeber und das Arbeitsrecht“. Die beiden Abgeordneten des Deutschen Bundestags, Frau Antje Tillmann (CDU) und Frau Müller-Gemmeke (Bündnis`90/Die Grünen), gaben einen hochinteressanten Einblick in die tägliche Arbeit des Gesetzgebers und die Wirkmechanismen der Willensbildung innerhalb der Bundestagsfraktionen. Besonderen Diskussionsstoff boten die Themen "Mindestlohngesetz“ und "Tarifeinheitsgesetz“ als wohl umstrittenste Gesetzgebungsvorhaben dieser Legislaturperiode.
Dr. Hinrich Vogelsang referierte in zwei Vortragseinheiten zum Thema "Die Tücken des Mindestlohngesetzes“. Er hob hervor, dass das MiLoG für alle Arbeitnehmer in Deutschland gelte. Ausnahmen, wie bspw. Praktikanten, ergäben sich lediglich aus dem gesetzlichen Ausnahmekatalog der §§ 22 und 24 MiLoG. Vogelsang erläuterte u.a., welche Entgeltbestandteile bei der Berechnung des Mindestlohnes Berücksichtigung fänden. So werden bspw. nicht mitgerechnet: Sonn- und Feiertagszuschläge, Nachtzuschläge, Schichtzulage, Überstundenzuschläge (umstritten), Schmutzzulagen, Gefahrenzulagen, Akkordprämien, Qualitätsprämie, Vermögenswirksame Leistungen und Urlaubsgeld. Das MiLoG findet, so Vogelsang, nur Anwendung auf Entgeltzahlungen für geleistete Arbeit. Auf Entgeltersatzleistungen wie bspw. der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder Urlaubsentgelt nach dem BUrlG fände es keine Anwendung. Die Anwendung des MiLoG ist unabdingbar; auch kann ein Arbeitnehmer nicht wirksam freiwillig auf den Mindestlohn verzichten. Zum Abschluss seines zweiteiligen Vorschlags ging Vogelsang auf die Festsetzung des Mindestlohnes und die staatlichen Kontrollmechanismen ein.
Prof. Dr. Henssler sprach zum Thema "Aktuelle Entwicklungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung zum Tarifrecht“ und hob besonders seine Bedenken zum Tarifeinheitsgesetz hervor. Ganz überwiegend würde in der Literatur von der Verfassungswidrigkeit des Tarifeinheitsgesetzes ausgegangen, da es die Betätigungsfelder der kleineren Gewerkschaften unverhältnismäßig einschränke. Ebenso konstatierte Henssler eine schwindende Tarifbindung auf Arbeitnehmer- wie auch auf Arbeitgeberseite. Im Rahmen seines Überblicks über aktuelle Rechtsprechung zum Tarifrecht ging Henssler im Besonderen auf die Entscheidung des BAG zu Boni für Gewerkschaftsmitglieder im Falle des Autobauers Opel ein[4]. Er verwies darauf, dass nach Auffassung des erkennenden Senats die Nichtanwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes auf tarifliche Regelungen nicht darin begründet sei, dass der Arbeitgeber den für ihn geltenden normativ wirkenden Tarifverträgen im Sinne einer "fremdbestimmten Normenwirkung“ unterlegen wäre und sie lediglich zu erfüllen hätte. Sie habe vielmehr ihren Grund darin, dass bei Tarifverträgen keine strukturelle Ungleichgewichtigkeit der Verhandlungspartner besteht, sondern von Verfassungs wegen eine Verhandlungsparität vorausgesetzt wird und es deshalb einer Inhaltskontrolle des privatautonomen Handelns des Arbeitgebers nicht bedarf. Die Ergebnisse kollektiv ausgehandelter Tarifvereinbarungen haben die Vermutung der Angemessenheit für sich.
Die lebhaften Diskussionen der wieder zahlreich erschienenen Teilnehmer und die Kompetenz der Referenten machten die Erfurter Tage wieder zu einem arbeitsrechtlichen Erlebnis. Die "16. Erfurter Tage des Arbeitsrechts“ finden am 02. und 03. September 2016 mit gewohnt prominenter Besetzung am Sitz des Bundesarbeitsgerichts statt. Nähere Informationen erhalten Sie über den Link: www.erfurter-arbeitsrechtstage.de
Rechtsanwalt Prof. Dr. Rolf Bietmann Fachanwalt für Arbeitsrecht
Rechtsanwalt Stephan Brokopf
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